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Kategorie: Videos
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https://www.youtube.com/watch?v=pmfSSqpxSX0

Autor des Kommentars: Alfred Dandyk

Am Anfang dieses Videos äußert sich Wolfgang Welsch zu Sartres Begriff der Verantwortung, so wie dieser von Sartre in "Der Existentialismus ist ein Humanismus" expliziert wird. Welsch erklärt diesen Begriff kurzerhand für vollkommen unhaltbar. Seine Ausführungen legen nahe, daß Sartres Begriff der Verantwortung nicht nur abwegig, sondern geradezu lächerlich sei. Welschs Interpretation gipfelt in der Behauptung, Sartres Konzept impliziere, daß dem Anderen die Freiheit geraubt werde, eigene Entwürfe zu entfalten. Der freie Andere werde ein Sklave meiner Entwürfe. Der Administrator ist der Ansicht, daß die Lächerlichkeit von Sartres Verantwortungsbegriff nichts anderes widerspiegelt als die Lächerlichkeit von Welschs Interpretationskünsten.

 

Sartre hat sich in einem Interview von "Der Existentialismus ist ein Humanismus" distanziert, weil er diese vollkommen verunglückten Interpretationen nicht mehr ertragen konnte. Er sagt dort sinngemäß, "Sie glauben verstanden zu haben, was ich sagen wollte. Dabei haben Sie gar nichts verstanden". Genau so ist es auch bei Wolfgang Welsch. Er hat von Sartre gar nichts verstanden. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn er nicht den abwegigen Ehrgeiz gezeigt hätte, eine Vorlesung über Sartre zu halten. Dieses Video ist ein gutes Beispiel dafür, was dabei herauskommt, wenn jemand eine Vorlesung über ein Thema hält, zu dem er - aus welchen Gründen auch immer - keinen Zugang hat.

 

Welschs Kritik entzündet sich vor allem an Sartres Behauptung, daß der Selbstentwurf die gesamte Menschheit binde. Welsch deutet diesen Ansatz in die absurde Behauptung um, daß dann mit diesem Projekt dem Anderen die Freiheit genommen werde, seinerseits einen Selbstentwurf entgegen zu setzen. Es ist klar, daß diese Deutung des Verantwortungsbegriffes nicht im Sinne Sartres ist, denn gerade Sartre weist immer wieder darauf hin, daß es einen Skandal der Pluralität der Bewußtseine gibt. Selbstverständlich ist der Andere ebenso frei  wie ich selbst. Die Konflikthaftigkeit des menschlichen Zusammenlebens besteht gerade in der Unaufhebbarkeit der Differenz zwischen meiner Freiheit und der Freiheit des Anderen.

 

Was will Sartre uns mit seinem Verantwortungsbegriff mitteilen? Er will sagen, daß jeder Selbstentwurf auch ein Weltentwurf ist. Wenn ich mich also selbst entwerfe, zum Beispiel als Kommunist, dann entwerfe ich damit auch eine Welt, die vom Standpunkt des Kommunismus aus gedeutet wird. Jedes Geschehen, jedes Ereignis, jede Tatsache und auch jeder Mensch erscheint mir dann im Rahmen einer Welt, deren Sinn und Zweck der Kommunismus ist. Ich werde dann den Kapitalisten in einem anderen Licht sehen als ein Anhänger der christlichen Morallehre das tun würde. Ich kann also gar nicht verhindern, daß mit meinem Selbstentwurf eine Welt entsteht, in der alle anderen Menschen gebunden sind, und zwar gebunden sind in dem Sinne, daß alle ihre Handlungen im Lichte meines Projektes gedeutet werden. Ich bin dafür verantwortlich, welche Rolle die Anderen in meiner Welt spielen. Entwerfe ich mich als Kommunist, wird mir der Kapitalist als Gegner erscheinen. Dafür bin ich verantwortlich. Ich bin nicht dafür verantwortlich, daß der Andere ein Kapitalist ist, aber ich bin dafür verantwortlich, welche Bedeutung das Wort "Kapitalist" in meiner Welt hat.

 

Welschs Ausführungen leiden unter einer unsäglichen Oberflächlichkeit der Analyse. Er sagt zum Beispiel, man könne doch seinen Entwurf "Kommunist zu sein" als  ein Modell, als einen Vorschlag, als ein Angebot an die Anderen betrachten und es den Anderen überlassen, wie sie sich selbst entwerfen wollen. Demgegenüber sei Sartres Verantwortungsbegriff  als eine Art von Terrorismus zu betrachten. Welsch übersieht hier vollkommen die prinzipielle Konflikthaftigkeit, die in der Tatsache des Selbstentwurfes liegt. Wenn ich mich  als Kommunist entwerfe, dann muß ich wollen, daß der Andere sich mir anschließt, denn ich entwerfe ja eine Welt, die vom Kommunismus geprägt sein soll und eine Welt, in der der Andere leben soll. Ich kann also, wenn ich mir nicht selbst widersprechen will, nicht wollen, daß der Andere kein Kommunist ist. Es handelt sich hier um ein logisches Problem und um das Problem der Widerspruchsfreiheit des Grundentwurfes. Selbstverständlich kann man auch einen widersprüchlichen Grundentwurf leisten, aber dann lebt man im Zustand der Unaufrichtigkeit. Sartre geht in diesem Kontext allerdings von einem authentischen Menschen aus.

 

Welsch behauptet, man könne doch gleichzeitig Kommunist sein wollen und dem Anderen im Sinne des Liberalismus seine Freiheit lassen. Er sagt damit im Grund nur, daß er dem Grundentwurf "Kommunist zu sein" den Grundentwurf "Liberaler zu sein" vorziehen würde. Das ist aber im Sinne Sartres eine Trivialität. Selbstverständlich kann jemand den Selbstentwurf machen, in einer liberalen Welt leben zu wollen, aber das wäre eben ein anderer Grundentwurf. Ich verstehe nicht, wo hier ein Widerspruch zu Sartre bestehen soll. Aber selbst dann, wenn ich mich dazu entwerfe ein Liberaler zu sein, kann ich nicht umhin, die gesamte Menschheit mit diesem meinem Selbstentwurf zu binden. Denn ich möchte doch in einer Welt leben, deren Sinn vom Liberalismus gestiftet wird und damit möchte ich doch, daß der Andere wie ich ein Liberaler ist. Es wäre doch - Authentizität vorausgesetzt - absurd, ein Liberaler sein wollen und gleichzeitig dem Anderen zuzugestehen, im Sinne Lenins ein Kommunist sein zu dürfen. Damit würde ich mir ja selbst widersprechen. Denn der Kommunist im Sinne Lenins würde, wenn man ihm freie Hand ließe, mir und meinem Liberalismus den Garaus machen ( siehe zum Beispiel den Konflikt Lenin-Kerenski). Auch der liberalste aller liberalen Menschen wird anerkennen müssen, daß es einen prinzipiellen Konflikt zwischen dem Selbstentwurf und der Freiheit des Anderen gibt. Dieser Konflikt besteht vor allem darin, daß der Andere im Rahmen meines Selbstentwurfes gebunden ist, obwohl er als Anderer einer solchen Bindung stets entzogen ist.

 

Je mehr man über diese Problematik nachdenkt, destso klarer wird einem, wie tief der Verantwortungsbegriff Sartres gedacht ist und wie hohl und nichtssagend die Kritiken von Interpreten wie Welsch tatsächlich sind.